Warum Verkehrslärm das Leben verkürzen kann
Millionen gesunder Lebensjahre verlieren die Westeuropäer Jahr für Jahr durch Verkehrslärm. Besonders nächtliche Lärmbelastung triggert die Bildung freier Radikale, erhöht den Stresshormonspiegel und steht erholsamem Schlaf im Wege.
In der modernen Welt haben wir uns daran gewöhnt, von Verkehrslärm umgeben zu sein. Große Aufmerksamkeit erfahrt der „Tag gegen den Lärm“, der alljährlich im April für die potenziellen schädlichen Auswirkungen sensibilisieren soll, daher nicht. Dabei kostet das akustische Übel laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation allein in Westeuropa pro Jahr rund 1,6 Millionen gesunde Lebensjahre.
„Das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen wird durch Verkehrslärm – egal ob von Straßen-, Schienen- oder Luftfahrzeugen verursacht – deutlich erhöht“, warnt der Kardiologe und Internist Dr. Rüdiger Zorn von der Kranoldpraxis in Berlin-Lichterfelde. „Das gilt auch, wenn man sich subjektiv an die Belastung gewöhnt zu haben meint.“ Vor allem der nächtliche Verkehrslärm schlägt auf das Herz-Kreislauf-System, allein schon weil er den Erholungswert des Schlafes mindert. Der oxidative Stress und der Stresshormonspiegel steigen, es werden mehr freie Radikale gebildet. Dies alles begünstigt Bluthochdruck, Entzündlichkeit und vaskuläre Dysfunktion.
3,2 Prozent Risikozunahme pro 10 db(A)
Wie sich das in konkreten Zahlen auswirkt, hat nun eine Übersichtsstudie untersucht, die vom Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz zusammen mit dem Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH), dem Krebsinstitut Kopenhagen und der Perelman School of Medicine an der University of Pennsylvania (USA) erarbeitet wurde. Das Kernergebnis lautet: Pro 10 dB(A) Verkehrslautstärke nimmt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Schlaganfall und Herzinfarkt um 3,2 Prozent zu. Zur Einordnung: Flüstern erzeugt einen Schall von etwa 30 dB(A), mittlerer Straßenverkehr rund 85 dB(A), Schwerlastverkehr kann sich 100 dB(A) nähern.
Das Autorenteam empfiehlt aufgrund seines Befundes, verstärkt in Lärmschutz zu investieren, etwa durch „leisere“ Straßenbeläge, mehr Lärmschutzwände und eine anwohnerschonendere Gestaltung des Luftverkehrs. Das koste zwar viel Geld – doch Schätzungen zufolge gingen auf Lärmbelastung höhere gesellschaftliche Kosten zurück als auf Rauchen und Alkoholkonsum.
Für den Einzelnen und die Einzelne bleiben einstweilen nur Behelfsmaßnahmen, vor allem zwei altbewährte: Fenster nicht auf Kipp lassen, sondern nur zum Stoßlüften öffnen, und Ohropax nutzen.