Tut Deutschland zu wenig gegen Herzerkrankungen?

Im westeuropäischen Vergleich ist die Lebenserwartung in Deutschland eher gering. Als einer der Hauptgründe gelten häufigere Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die „Nationale Herz-Allianz“ will daher mit besserer Diagnostik, Vorsorge und Aufklärung für mehr Lebensjahre sorgen.

83,5 Jahre alt werden die heute in Deutschland geborenen Mädchen im Schnitt werden. Das ist zwar ein erfreulicher Anstieg von mehr als fünf Jahren seit 1990. Doch der Fortschritt relativiert sich, wenn man die Lebenserwartung in vergleichbaren Ländern betrachtet. So können die Spanierinnen mit 86,2 Lebensjahren rechnen, die Schweizerinnen und Französinnen mit 85,6. Bei den Männern das gleiche Bild: In Deutschland beträgt ihre prognostizierte Lebenserwartung 78,8 Jahre und damit ganze drei Jahre weniger als in der Schweiz. Damit rangieren die Deutschen auf den Plätzen 14 und 15 in einem Vergleich unter 16 westeuropäischen Staaten, den das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und das Max-Planck-Institut für demografische Forschung angestellt haben – angesichts der enormen Gesundheitsausgaben und des generellen Wohlstands hierzulande ein wenig befriedigendes Ergebnis.

Den Autoren zufolge liegt der Hauptgrund in häufigeren Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So seien deutsche Männer früher als die in anderen Ländern von kardiovaskulären Krankheiten betroffen, die schließlich zum Herztod führen. Dieser ist auch bei mehr über 65-jährigen Frauen in Deutschland die Todesursache als anderswo.

„Dass Deutschland bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich zurückliegt, ist Anlass zur Sorge, da diese heutzutage als weitgehend vermeidbar gelten“, kommentiert Studien-Co-Autor Pavel Grigoriev vom BiB. Auch der Berliner Kardiologe und Internist Dr. Rüdiger Zorn, der im Stadtteil Lichterfelde die Kranoldpraxis betreibt, sieht noch reichlich Präventionspotenzial: „Viele Menschen könnten mit einer Umstellung einiger Lebensgewohnheiten und gegebenenfalls mit frühzeitiger Behandlung zahlreiche zusätzliche Lebensjahre gewinnen, doch es fehlt oft am nötigen Wissen und Risikobewusstsein.“

Mehr Vorsorgeuntersuchungen gefordert
Eine von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) gestartete Initiative namens „Nationale Herz-Allianz“ setzt sich nun für eine systematisch verankerte bessere Diagnostik, Vorsorge und Aufklärung ein. Zu den Forderungen des „Masterplans“ gehören regelmäßige Herz-Vorsorgeuntersuchungen ab 50 Jahren und breitere Herzschwäche-Screenings. Auch zur Früherkennung der familiären Hypercholesterinämie schon im Kindesalter müsse mehr getan werden. Zudem entspreche die LDL-Cholesterin-Einstellung bei vier von fünf Atherosklerose-Patienten nicht den Zielwerten.

Für Notfälle sehen die Herzmediziner Deutschland ebenfalls nur suboptimal gewappnet. Die Bereitschaft, Wiederbelebungsmaßnahmen bei einer fremden Person durchzuführen, ist weniger ausgeprägt als in den meisten anderen europäischen Ländern. Und die Alarmierung eines jeweils in der Nähe befindlichen geschulten Ersthelfers per App funktioniert in der Praxis nur selten. Die Bundesbürger sind also in doppelter Hinsicht gefragt: Zum einen sollten sie schon an ihre Herzgesundheit denken und entsprechend handeln, bevor ernste Erkrankungen einsetzen; zum anderen tut jeder gut daran, sich mit Erste-Hilfe-Kenntnissen auf Notfälle vorzubereiten, in denen man zum Lebensretter werden könnte.